Der Ort des Schmerzes

Illustration 3D Rendering, 2020

Verteidigung der natürlichen Intelligenz

Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs weist in seinem neuen Buch den körperlosen Visionen der Transhumanisten eklatante Denkfehler nach.

Wo ist der Schmerz, wenn mir der Fuss wehtut? – Nach gängiger neurowissenschaftlicher Überzeugung dort, wo er angeblich erzeugt wird, also im Gehirn. Selbst Searle, sonst ein Kritiker des neurobiologischen Reduktionismus, ist dieser Auffassung: 'Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Schmerzen sich im physikalischen Raum innerhalb unseres Körpers befinden […] Doch wissen wir nun, dass dies falsch ist. Das Hirn bildet ein Körperbild, und Schmerzen – wie alle körperlichen Empfindungen – gehören zum Körperbild. Der Schmerz-im-Fuss ist buchstäblich im physikalischen Raum des Hirns.' (Searle 1993: 81) – Doch das Gehirn empfindet weder Schmerzen, noch enthält es sie. Es produziert auch kein 'Körperbild', denn der erlebte Leib ist kein 'Bild' von einem Körper, sondern es ist der Körper selbst als empfundener. Alles was sich im Gehirn findet, wenn jemand Schmerz empfindet, sind bestimmte neuronale Aktivierungen (besonders im somatosensorischen Kortex und im Gyrus cinguli), die zwar notwendige Bedingungen des Schmerzerlebens darstellen, aber sicher keine Schmerzen sind. Der Schmerz-im-Fuss ist somit weder im physikalischen Raum des Fusses noch im physikalischen Raum des Gehirns, denn Schmerzen sind nun einmal weder anatomische Dinge wie Sehnen oder Knochen noch physiologische Prozesse wie Ladungsverschiebungen an neuronalen Zellmembranen. Wo ist der Schmerz dann? Er ist im 'Fuss-als-Teil-des-lebendigen-Körpers', denn dieser einheitliche lebendige Körper bringt – nicht zuletzt vermittels des Gehirns – auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. Dass ich sinnvoll aussagen kann 'Ich habe Schmerzen im Fuss' und denselben Fuss auch meinem Arzt zeigen kann, setzt voraus, dass der subjektive Raum meines Schmerzes und der objektive Raum meines Fusses nicht zwei getrennten Welten angehören, sondern syntopisch zur Deckung kommen.

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Wie sich zeigt, ist die Leiblichkeit die Schlüsselstelle und zugleich die Achillesferse des neurobiologischen Reduktionismus. Um die physikalische Welt von allem Erlebten und Lebendigen zu reinigen, muss der subjektive Leib zum internen Konstrukt des Gehirns erklärt werden; seine räumliche Ausgedehntheit darf nur eine Illusion sein. Demgegenüber habe ich gezeigt, dass Leib und Körper eine »physisch-ästhesiologische Einheit« darstellen, wie Husserl es ausdrückt; dass also der subjektiv erlebte Leib und der intersubjektiv wahrgenommene, physische Körper syntopisch zur Deckung kommen. Dieser Körper ist freilich nicht mehr der teilbare Maschinenkörper der mechanistischen Physiologie und Medizin: Der Einheit des subjektiven Leibes entspricht vielmehr die unteilbare Einheit des lebendigen Organismus.

Fuchs, Thomas. «Verteidigung des Menschen« (suhrkamp taschenbuch wissenschaft). Suhrkamp Verlag 2020.