Knoten, Masche & Geflecht
DER KNOTEN
Der Knoten ist vielleicht das älteste technische Symbol und, wie ich zeigte; der Ausdruck für die frühesten kosmogonischen Ideen die bei den Völkern aufkeimten. Der Knoten dient zuerst als Verknüpfungsmittel zweier Fadenenden und seine Festigkeit begründet sich hauptsächlich auf den Widerstand der Reibung. Das System, welches durch Seitendruck die Reibung am meisten befördert, wenn die beiden Fäden in entgegengesetzten Richtungen nach ihrer Länge gezogen werden, ist das festeste.
DIE MASCHE
Die Masche ist ein noeud coulant, ein Knoten dessen Lösung die Auflösung des ganzen Systems dem er angehört nach sich zieht. Sie ist das Element der Strumpfwirkerei, der Strick- und Häckelarbeiten und hat je nach den Instrumenten die dabei gebraucht werden und der Bestimmung des Gewirkes was man machen will ihr besonderes Entstehungsgesetz. Ich bekenne meine Nichtbefähigung tiefer in das Innere dieser Kunst einzudringen und bemerke nur, dass sie eine äusserst raffinierte ist und Produkte erzeugt, deren Eigenschaften sonst auf keine Weise erreichbar sind und die ausserdem in sich in ihrer Construktion die Elemente ihrer reichsten Zierde tragen.
DAS GEFLECHT
Das Geflecht (Zopf, Tresse, Naht, Rohrgeflecht, Matte.) Das Geflecht hätte vielleicht vor dem Strickwerk unter den Produkten der textilen Künste genannt werden müssen. Es ist nächst dem Gezwirn dasjenige, was bei der Bereitung der Gebinde benützt wird; doch dient es auch zu der Bereitung von Tegumenten. Das Geflecht gibt ein solideres Strangwerk ab als das Gezwirn, indem die einzelnen Stränge woraus es besteht, mehr nach ihrer natürlichen Richtung, d. h. in dem Sinne der absoluten Festigkeit fungieren, wenn dasselbe gespannt wird. Zugleich hat es den Vorzug, sich nicht so leicht „abrebbeln" d. h. in seine elementaren Fäden auflösen zu lassen. Zum Geflecht gehören wenigstens drei Stränge die abwechselnd übereinander greifen, (vde Figur.) Doch lässt sich die Zahl der Stränge beliebig vermehren, wobei aber in der Bereitung des Geflechts momentan immer mir drei einfache oder mehrfache Stränge aktiv sind, so dass nach bestimmten Gesetzen immer aktiv gewesene Stränge fallen gelassen und dafür der Reihe nach andere aufgenommen werden. Das Rundgeflecht bringt den Wulst (torus) hervor und ist in der Sattlerei sehr gebräuchlich.
Aus: Semper, Gottfried, Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst, 1860