Digitalisierung – Störung der Idee des Originals

Multiple Verdoppelungen der Welt

Die Digitalisierung stört die Idee des Originals bzw. der Identität von Objekten. Gehört die Einheit eines Objekts noch zu den klassischen Kategorien der logischen Auffassung der Welt, befreien sich digitale Objekte von der Stofflichkeit ihres Trägers. Mit Rekurs auf Walter Benjamins Nachdenken über die Folgen der Reproduzierbarkeit für die Bedeutung und die Lesbarkeit von Kunstwerken zeigt Michael Betancourt, dass mit digitalen Objekten die Reporduzierbarkeit eine neue Stufe erreicht. Anders als noch mit Benjamin kann man nicht mehr von dem Verhältnis von Original und Kopie sprechen, da die Unterscheidung implodiert. Das Kopieren einer Datei erzeugt tatsächlich die Datei nochmals, und zwar ohne jeglichen Verlust. Die Kopie ist keine Kopie, weil sie mit dem Original identisch ist, das dann als Original verschwindet. Ein digitales Werk oder Objekt ist zwar auch an einen Träger gebunden, (...) aber es ist ohne Verlust vom Speichermedium zu trennen. Dazu wieder Betancourt: 'Die Einzigartigkeit digitaler Werke kann daher weder das Ergebnis davon sein, dass es 'nur eines' von ihnen gibt, noch kann diese Einzigartigkeit das Ergebnis eines solitären (individuellen) Charakters sein, da alle 'Kopien' in jeglicher Hinsicht identisch sind. Tatsächlich gibt es für digitale Werke (...) kein Objekt erster Ordnung in der Weise, in der es eine Sixtinische Kapelle gibt. (Seite 132)

 

Privatheit retten?

Welche Privatheit wollen wir nun retten? Es dürfte vergeblich sein, so etwas wie eine unbeobachtbare, authentische, autonome Privatheit retten zu wollen – dies hat es nie gegeben. Private Lebensformen waren stets auch das Resultat von Überwachungs- und Geständnistechniken, von Zurechnungstechniken und nicht zu letzt starken sozialen Regulierug, und es waren diese Techniken, die das Bild der autonomen privaten Person erst ermöglicht haben. Vielleicht kann man von embedded privacy sprechen, zumal der Zwang von aussen keineswegs als unmittelbarer Zwang erlebt wurde. (Seite 315)

Zitiert aus MUSTER \\\ THEORIE /// DER DIGITALEN GESELLSCHAFT von Armin Nassehi, C.H.Beck 2019